Strafrecht

BGH-Urteil: Die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos ist nicht strafbar

Damit weisen die Richter auf einem der umstrittensten bioethischen Gebiete einen Weg, der auch schon in vielen anderen Ländern Europas gegangen wird. Bisher war dieser aber in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz von 1990 versperrt.
 Der Fall:
In dem Verfahren ging es um einen Berliner Frauenarzt, welcher 2005 und 2006 in seinem „Kinderwunsch-Zentrum“ mit drei Paaren zu tun hatte, bei denen eine Veranlagung zu schweren Erbkrankheiten vorlag. Ein Paar hatte bereits eine schwerbehinderte Tochter, die anderen Eltern waren selbst genetisch vorbelastet.
Im Hinblick auf die Gefahrenlage und dem Wunsch seiner Patienten entsprechend führte der Arzt jeweils eine sog. Präimplantationsdiagnostik (im Folgenden: PID) an pluripotenten, d.h. nicht zu einem lebensfähigen Organismus entwicklungsfähigen Zellen durch. Die Untersuchung diente dem Zweck, nur Embryonen ohne genetische Anomalien übertragen zu können. Dies geschah in allen Fällen. Embryonen mit festgestellten Chromosomenanomalien wurden hingegen nicht weiter kultiviert und starben in der Folge ab.
Der Arzt war sich nicht sicher, ob dies zulässig war, und holte sich Rat bei Juristen. Schließlich zeigte er sich 2006 selbst bei der Staatsanwaltschaft an, wurde aber sodann im Mai 2009 vom Landgericht Berlin freigesprochen. Gegen diese Entscheidung hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
Die Entscheidung:
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das freisprechende Urteil des Landgerichts bestätigt und die Revision der Staatsanwaltschaft demgemäß verworfen. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG (missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken) und § 2 Abs. 1 ESchG (missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen) nicht verletzt hat.
 Der Bundesgerichtshof stellte fest: „Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, birgt hohe Risiken in sich.“
Die Richter wiesen darauf hin, dass es zu Abtreibungen kommen könnte, wenn nicht untersuchte Embryonen eingesetzt würden und sich die Schwangere dann etwa nach einer Fruchtwasseruntersuchung für einen Abbruch entschiede. „Die PID“, so der BGH, „ist geeignet, solch schwerwiegende Gefahren zu vermindern.“
Zur Begründung erklärten die Richter des Landgerichts damals, dass der Angeklagte zum einen gar nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen habe. Ausschlaggebend war, dass es als einziges Ziel des Arztes angesehen wurde, dass dieser eine Schwangerschaft herbeiführen wollte, die Embryonen aber nicht zu anderen, etwa wissenschaftlichen Zwecken verwenden habe wollen. Nur solche Zweckentfremdung verbiete das Gesetz, nicht aber die PID.
Zum andern, so die Berliner Richter, müsse sonst der Schluss gezogen werden, dass diese Untersuchung in der Schwangerschaft erlaubt sei, aber vorher bei der künstlichen Befruchtung verboten sein solle.
Der Bundesgerichtshof schließt sich der Argumentation des Landgerichts an, dass ein Verbot der PID im Widerspruch zur gängigen Praxis der Furchtwasseruntersuchung während der Schwangerschaft stehe.
Der Bundesgerichtshof betont zudem in seiner Entscheidung, dass eine PID bei genetisch vorbelasteten Eltern nicht bedeute, dass Embryonen generell „selektiert“ werden könnten.
Das Gericht erklärt dazu, „dass Gegenstand seiner Entscheidung nur die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden sei. Einer unbegrenzten Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale, etwa die Auswahl von Embryonen, um die Geburt einer 'Wunschtochter' oder eines 'Wunschsohnes' herbeizuführen, wäre damit nicht der Weg geöffnet.“
Die Entscheidung hat Folgen: Das Embryonenschutzgesetz muss gründlich überarbeitet oder durch ein – von vielen Experten gefordertes – Fortpflanzungsmedizingesetz ergänzt werden, das klare Regeln setzt.
Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386/09
Landgericht Berlin – Urteil vom 14. Mai 2009 – (512) 1 Kap Js 1424/06 KLs (26/08)