Vertragsrecht

BGH: Hat der Versicherer ein Leistungskürzungsrecht auf „Null“ bei Trunkenheitsfahrt des Versicherungsnehmers?

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Fahrzeugvollversicherung. Diese nimmt er wegen eines Unfalles in Anspruch. Die Versicherung hat die Leistung vollständig verweigert mit dem Argument der Trunkenheitsfahrt.

Der Kläger verunfallte am 13.07.2008 auf der Rückfahrt von einem Rockkonzert gegen 07:15 Uhr mit seinem PKW außerorts in einer Kurve. Er kam von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Laternenpfahl, wodurch an seinem Fahrzeug ein Sachschaden von ca. 6.400 € entstand. Bei einer Blutentnahme um 08:40 Uhr ergab sich eine Blutalkoholkonzentration von 2,7 Promille. Der Kläger wurde wegen fahrlässigem Vollrausch im Strafverfahren verurteilt.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Kostenübernahme bezüglich des Schadens von seiner Versicherung.
In den Vorinstanzen war der Kläger mit seiner Klage gegen die beklagte Versicherung erfolglos.

Der IV. Zivilsenat hat nun entschieden, dass ein Leistungskürzungsrecht des Versicherers nach § 81 Abs. 2 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung eines Versicherungsfalles ausscheidet, wenn der Versicherungsnehmer unzurechnungsfähig war.
Eine Unzurechnungsfähigkeit des Klägers kam im konkreten Fall zum Zeitpunkt des Unfalles wegen der hohen Blutalkoholkonzentration sowie weiterer Indizien (Vermerke im Protokoll zur Blutentnahme und Angaben der Polizeibeamten) in Betracht.
Da das Berufungsgericht keinerlei Feststellung zur Frage der Unzurechnungsfähigkeit getroffen hat, wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG Dresden zurückverwiesen.

Der BGH hat aber weiter ausgeführt, dass für den Fall, dass eine Unzurechnungsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen hat, allerdings  der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles auch an ein zeitlich früheres Verhalten angeknüpft werden kann.
Im konkreten Fall z.B.  nämlich dann, wenn der Versicherungsnehmer vor Trinkbeginn oder in dem Zeitpunkt, als er noch schuldfähig war, erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit einen Versicherungsfall herbeiführen wird. Auch diesen Gesichtspunkt hat das OLG Dresden zu berücksichtigen.

Sollte das OLG Dresden zum Ergebnis gelangen, dass eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger gegeben ist, so ist der Versicherer nach der durch das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23.11.2007 zum 01.01.2008 eingeführten Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechendem Verhältnis zu kürzen.

Anders als nach der früheren Regelung des § 61 VGG a.F., die bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles kraft Gesetz eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers vorsah (Alles- oder Nichts- Prinzip) enthält die neue Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG eine Quotenregelung.

Bislang war in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im juristischen Schrifttum streitig, ob die Neuregelung dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, seine Leistung gänzlich zu versagen oder ob in jedem Fall zumindest eine Quote zu ersetzen ist.

Der BGH nun hat für den Fall der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles  entschieden, dass nur in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagt werden darf, d. h. nur in Ausnahmefällen darf eine Kürzung auf Null erfolgen.
Dies kann bei absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommen. Es ist jedoch stets eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls erforderlich.

Die Entscheidung des BGH vom 22.06.2011, Az. IV ZR 225/10 können Sie nachlesen unter <link http: www.bundesgerichtshof.de>www.bundesgerichtshof.de