Wirtschaftsstrafrecht

Der Fall „Emmely“

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat am 10.06.2010 in Erfurt entschieden, dass die fristlose Kündigung einer Kassiererin wegen der Unterschlagung zweier Leergut – Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 € unverhältnismäßig war.
Das Bundesarbeitsgericht betonte bei seiner jetzigen Entscheidung zugleich, dass es von seiner jahrzehntelangen Rechtsprechung nicht abrückt.
Bagatelldelikte können auch weiterhin eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

 Zum Sachverhalt:

Die Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Kassiererin beschäftigt.
Im Januar 2008 wurden in ihrer Filiale zwei Leergutbons im Wert von 82 und 48 Cent aufgefunden. Die Klägerin sollte diese, für den Fall das sich ein Kunde meldet, im Kassenbüro aufbewahren.
Nach den Feststellungen der vorinstanzlichen Gerichte reichte die Klägerin die beiden Bons zehn Tage später bei einem privaten Einkauf bei einer kassierenden Kollegin ein.
Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis ungeachtet des Widerspruchs des Betriebsrats wegen des dringenden Tatverdachts der Unterschlagung fristlos, hilfsweise fristgemäß.
Sie rechtfertigte diese Entscheidung damit, dass durch das Verhalten der Klägerin ein „immenser Vertrauensverlust“ gegeben sei, welcher eine Weiterbeschäftigung nicht ermöglicht habe.
Die Klägerin hatte gegen die fristlose Kündigung Klage erhoben.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Berlin - Brandenburg wiesen die Kündigungsschutzklage der Klägerin ab und gaben dem Arbeitgeber Recht.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr entschieden, dass die fristlose Kündigung unwirksam ist.
Diese Entscheidung zugunsten der Klägerin, steht somit „diametral“ zu den vorherigen Entscheidungen.

Das Bundesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien.

Grundsätzlich kann ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn der wirtschaftliche Schaden gering ist. Umgekehrt ist nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ein Kündigungsgrund.
Eine fristlose Kündigung kann stets nur aus „wichtigem Grund“ erfolgen. Wann nunmehr ein solcher „wichtiger Grund“ vorliegt, muss „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile“ beurteilt werden. Dabei sind alle für das Vertragsverhältnis in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Das BAG hat für den „Fall Emmely“ entschieden, dass die angesichts der mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen zugunsten der Klägerin in der Abwägung überwiegen.
Das Gericht hat hierbei berücksichtigt, dass die Klägerin mehr als drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen bei der Beklagten beschäftigt war.
Das hierdurch erworbene Vertrauen habe mit einer einmaligen Verfehlung nicht vollständig zerstört werden können. Auch die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung der Beklagten wurde in der Abwägung berücksichtigt.

Das Gericht kam daher zu der Entscheidung, dass eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen und ausreichend gewesen wäre, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten.    

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin – Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2009 – 7 Sa 2017/08 –