Wirtschaftsstrafrecht

EuGH, Rechtssache C-555/07 - Kücükdeveci

 

Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres sind bei der Berechnung von  Kündigungsfristen mitzurechnen

 

 

Der europäische Gerichtshof hat heute in seinem Urteil vom 19.01.2010 auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen des LAG Düsseldorf gem. Art. 234 EG geantwortet und festgestellt, dass die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 der Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegensteht. Deutschen Gerichten würde es zudem obliegen, die Beachtung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters sicherzustellen, indem es erforderlichenfalls entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts unangewendet lässt. 

Das Urteil hat unmittelbare Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Praxis bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen  und der Berechnung bzw. Beachtung von Kündigungsfristen. 

Geklagt hatte eine Frau, die in einem Essener Unternehmen nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres im Juni 1996 eingetreten war. Im Dezember 2006 erklärte der Arbeitgeber nach zehnjähriger Beschäftigungsdauer die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zum 31. Januar 2007.  

Unter Beachtung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ließ er bei Berechnung der Kündigungsfrist diejenige Beschäftigungsdauer außer Betracht, die die Klägerin vor Vollendung ihres 25. Lebensjahres in dem Unternehmen absolviert hatte; im vorliegenden Fall immerhin 7 Jahre.  

Bei einer so zu beachtenden Beschäftigungsdauer von 3 Jahren bemisst sich die Frist gem. § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB einen Monat zum Ende eines Kalendermonats. Hätte der Arbeitgeber entgegen dem Gesetzeswortlaut die Beschäftigungsdauer vor Vollendung des 25. Lebensjahres mitgerechnet, hätte die Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB vier Monate zum Ende eines Kalendermonats betragen. Der Klägerin hätte also fristgerecht erst zum 30. April 2007 gekündigt werden können.  

Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG darstellt.

Derartige Ungleichbehandlungen können, so der Europäische Gerichtshof, gerechtfertigt sein, wenn die sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, zum Beispiel aus dem Bereich der Beschäftigungspolitik, gerechtfertigt sind. 

§ 622 BGB geht auf ein Gesetz von 1926 zurück, die Festlegung der Altersschwelle von 25 Jahren war ein Kompromiss zwischen der damaligen Regierung zur Anhebung der Kündigungsfristen. Ziel der Regelung war es, den Arbeitgeber von den Belastungen durch längere Kündigungsfristen teilweise freizustellen, nämlich bei Arbeitnehmern unter 25 Jahren.

Nach Ansicht des LAG Düsseldorf spiegelt sich hierbei die Einschätzung des Gesetzgebers wider, dass es jüngeren Arbeitnehmern regelmäßig leichter falle und schneller gelinge, auf den Verlust des Arbeitsplatzes zu reagieren.

Obwohl die Mitgliedsstaaten über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfügen, rechtfertige die Intention des Gesetzgebers die Ungleichbehandlung gerade nicht. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes könne die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Erreichung des behaupteten Ziels nicht als geeignet angesehen werden. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Urteilsbegründung verwiesen. 

Entscheidend ist, dass der Europäische Gerichtshof im weiteren feststellt, dass die nationalen Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gehalten sind, den rechtlichen Schutz des Einzelnen aus Unionsrecht sicherzustellen, notfalls durch Nichtanwendung einzelner Vorschriften.

Da die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich sei, so der Europäische Gerichtshof, bleibt in diesem Fall den nationalen Gerichten nur übrig, diese Norm nicht anzuwenden mit der praktischen Folge, dass bei Berechnung von Kündigungsfristen in Zukunft diejenigen Beschäftigungsjahre mitzurechnen sind, die durch den jeweiligen Arbeitnehmer vor Vollendung des 25. Lebensjahres absolviert worden sind. 

Mit anderen Worten: § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist bis auf weiteres bei der Berechnung von Kündigungsfristen nicht mehr anzuwenden.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.01.2010, Aktenzeichen C-555/07, nachzulesen unter: eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do